Warum sangen so viele Dichter und Denker Loblieder auf Nationalsozialismus und Kommunismus? “Des Brot ich eß, des Lied ich sing”!

Es war eine Lehrstunde in Sachen Diktatur. Auf dem Gelände des ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnisses in Berlin-Hohenschönhausen trafen sich 150 Teilnehmer, um über den „Verrat der Intellektuellen“ nachzudenken. Die Beispiele, in denen Dichter und Denker Diktaturen feierten, sind zahlreich: In den 60er und 70er Jahren demonstrierten westdeutsche Studenten und ließen auf Plakaten und mit Sprechchören die Massenmörder Lenin, Stalin und Mao hochleben. Die Schriftstellerin Luise Rinser feierte 1981 in ihrem „Nordkoreanischen Reisetagebuch“ das abgeschottete Land als „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ und beschrieb Staatschef Kim Il-sung als bescheidenen, gütigen Landesvater, der ausschließlich auf Wunsch seines Volkes verehrt werde. Literaturnobelpreisträger Günter Grass wetterte 1989 gegen die Deutsche Einheit und bezeichnete die DDR noch im Jahr 1995 als „kommode Diktatur“ (kommod heißt: bequem).
Woher kommt die auffällige Vorliebe zu totalitären Systemen? Die Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig (Passau) beschreibt es am Beispiel des Juristen Carl Schmitt (1888–1985). Er schrieb den Parlamentarismus der Weimarer Republik in Grund und Boden – später unterstützte er mit seinen Schriften die Hitler-Diktatur und rechtfertigte deren Mordaktion an SA-Führer Ernst Röhm mit den Worten: „Der wahre Führer ist immer auch Richter.“ Zehnpfennig beschreibt Schmitt als „ein Chamäleon“, voll brennenden Ehrgeizes. Der Katholik Schmitt habe „scharfsinnige Analyse kombiniert mit absoluter Verantwortungslosigkeit“. Zum Verhängnis sei ihm seine innere „Maßstabslosigkeit“ geworden, er habe „das Christentum verraten“ und sich stattdessen dem Glaubensbekenntnis des Nationalsozialismus angenähert.

Nach Auffassung des Bonner Historikers Joachim Scholtyseck erlagen die meisten intellektuellen Unterstützer des Nationalsozialismus der „diabolischen Versuchung“ Hitlers. Sie passten sich an – aus Angst, ihren Lehrstuhl oder die Pension zu verlieren. Andere stiegen schnell auf, indem sie die Lehrstühle der entlassenen jüdischen Professoren einnahmen. Scholtyseck stellte Professoren ein schlechtes Zeugnis aus: Oft seien unter ihnen Ehrgeiz, Neid und Missgunst anzutreffen. „Intellektuelle erzählen genauso viel Unsinn wie der Mann auf der Straße“, so Scholtyseck. Nicht weniger kritisch war das Fazit des Berliner Medienhistorikers Lutz Hachmeister über die Rolle von Journalisten im Dritten Reich: Sie hätten Adolf Hitler viel Bewunderung, aber nur wenig Kritik entgegengesetzt. Zugleich weigerten sich nach 1945 die Verlage, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. So habe etwa die Hälfte der ersten „Spiegel“-Redakteure einen Nazi-Hintergrund gehabt. Erfolgreich sei der „Spiegel“ durch Recherchen über die NS-Vergangenheit von Politikern geworden – dagegen habe man es versäumt, über sich selbst aufzuklären. Ihm sei kein Fall bekannt, wo ein Journalist nach 1945 sein Versagen eingestanden habe. Intellektuelle, die ihre Sympathien für den Nationalsozialismus bekunden, wird man heute kaum noch finden. Dagegen lebt ein anderes totalitäres Weltbild in den Köpfen vieler Denker fort: der Kommunismus. Dem Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder zufolge ist der Sozialismusgedanke in öffentlichen Debatten überall präsent. Jüngst bezeichnete der „Spiegel“ die Ansichten der Kommunistin Sahra Wagenknecht – sie ist stellvertretende Parteivorsitzende der „Linken“ – sogar als „die neue Mitte“. Es gebe kaum Intellektuelle, die sich für westliche Werte, Parlamentarismus und soziale Marktwirtschaft einsetzen, beklagt Schroeder. Unter Politikwissenschaftlern beobachtet er derzeit eine „Verklärung und Weichzeichnung der DDR“. Schroeder: „Bei allen Problemen, die die soziale Marktwirtschaft mit sich bringt: Wie kann man glauben, dass der Staatssozialismus eine ernstzunehmende Alternative bietet?“
Für den Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, ist der Kommunismus eine „quasireligiöse Glaubenslehre“, die das Paradies auf Erden verspreche und den Weg dorthin als historisch zwangsläufig beschreibe. Als Beispiel für die Verblendung westdeutscher Intellektueller zitiert Knabe den damaligen „Zeit“-Chefredakteur Theo Sommer, der 1986, nach einer Reise in die DDR, deren Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit den Worten hochleben ließ: „Seine Sätze kommen ohne Schnörkel und Stanzfloskeln daher; er formuliert beredt … er räsoniert aus der Sache, nicht aus der Ideologie.“ Wer Honeckers Politbüro-Sprech auch nur einmal gehört habe, könne über solchen Unsinn nur staunen.
Warum aber hielten es viele Intellektuelle in der DDR so lange aus? Der Berliner Literaturwissenschaftler Hans Dieter Zimmermann: Im Gegensatz zu anderen DDR-Bürgern durften die intellektuellen Stützen des Systems wie die Schriftsteller Hermann Kant, Christa Wolf und Stefan Heym in den Westen reisen und verfügten über Westautos und Westdevisen. Dass sie sich gegen die Deutsche Einheit aussprachen, sei daher nicht weiter verwunderlich: Durch sie sei ihnen das Privileg – mehr zu haben als ihre Mitbürger – verloren gegangen.
Zu den wenigen Intellektuellen, die den Mut haben, frühere Irrtümer zu bekennen, gehört der Historiker Gerd Koenen (Frankfurt am Main). In den 70er Jahren war er Mitglied des Kommunistischen Bundes Westdeutschland. Sein Vater war während der nationalsozialistischen Zeit ein Anhänger Hitlers gewesen. „Mach nicht denselben Fehler wie ich“, habe der Vater ihn damals gewarnt. „Nein, ich mache genau das Gegenteil“, antwortete Koenen ihm – und wurde Anhänger des Diktators Mao und des kambodschanischen Gewaltherrschers Pol Pot. Dass beide systematisch Massenmord an ihren Völkern verübten, hätte man schon damals wissen können, so Koenen: „Aber wir wollten es nicht wissen.“ Das Ignorieren kommunistischer Verbrechen sei vergleichbar mit der Leugnung des Massenmordes an den Juden. Heute sagt Koenen über seine kommunistische Vergangenheit: „Gestern wäre ich mir selber lieber nicht begegnet.“
Eine weitere Diskussionsrunde beschäftigte sich mit den Verklärungen in der Gegenwart. Für den Politikwissenschaftler Hendrik Hansen sind die Argumente von DDR-Verteidigern nahezu identisch mit denen von „Islamismus-Beschönigern“. An deutschen Universitäten behindere ein falsch verstandener Liberalismus die offene Auseinandersetzung mit dem Islamismus. Der Moskauer Büroleiter des Nachrichtenmagazins „Focus“, Boris Reitschuster, kritisierte den deutschen Umgang mit dem autoritär regierten Russland. In Russland herrschten Willkür und Rechtlosigkeit, die Opposition komme kaum noch zu Wort – doch dies werde in Deutschland nur wenig bemerkt. Der ehemalige KGB-Offizier Putin sei gut darin, sich gegenüber dem Westen zu tarnen. Reitschuster erinnerte daran, dass Gerhard Schröder in seiner Zeit als Bundeskanzler den russischen Präsidenten Putin als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnet hatte. Heute verdient Schröder sein Geld beim russischen Energieriesen Gazprom. Reitschuster zitiert dazu das russische Fernsehen: „Erstaunlich, für wie wenig Geld man sich einen deutschen Ex-Regierungschef einkaufen kann.“ Für Intellektuelle gibt es also auch heute genug Betätigungsfelder. Der Schriftsteller Rolf Schneider (Berlin) gibt dazu eine schöne Definition: „In totalitären Regimen sind Intellektuelle automatisch Dissidenten – sonst sind sie überflüssig.“ (idea.de)

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