Donald Trump oder Hillary Clinton – Pest oder Cholera.

100 Millionen Zuschauer, das gibt’s sonst nur beim Superbowl: …“ . Ja, und bei der Papst-Krönung und bei der Krönung der englischen Königin…Man kann natürlich das TV-Duell einer aufgepumpten Lobby-Sekretärin versus eines alternden Lobby-Mitglieds zum Schaukampf der Kulturen hoch stilisieren, aber wird es dadurch realer? Es geht um kranken Kapitalismus versus toten Sozialismus … beide sind lame ducks, und haben faktisch bewiesen – so klappts nimmermehr! Die Zukunft liegt woanders. Und wie der aktuelle US-Admin-Wettkampf zeigt, das Establishment ist noch weit, weit weg davon, zu kapieren, wohin die Reise geht: Sowohl Donald Trump als auch Hillary Clinton sind beim Volk hochgradig unbeliebt, und beide nennen sich evangelisch, obwohl dies ein Etikettenschwindel ist.

Wer die religiöse Dimension des Duells zwischen ihnen begreifen will, muss sich über einen Webfehler kundig machen, den Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) während seines Studienaufenthaltes in New York an der Theologie des klassischen US-Protestantismus ausgemacht hat. Sie gehe bei der Suche nach geistlichen Lösungen von menschlichen Kategorien aus. Dabei blieben die Person und das Werk Christi letztlich unverstanden. Dies sei unbiblisch, schrieb Bonhoeffer, denn „nicht von der Welt zu Gott, sondern von Gott zur Welt geht der Weg Jesu Christi und daher allen … christlichen Denkens.“

Die beiden Kandidaten verkörpern diesen Webfehler fratzenhaft. Da ist die Ex-Außenministerin Hillary Clinton, von der 56 Prozent der Wähler eine schlechte Meinung haben, vor allem weil sie als eine habituelle Lügnerin gilt – und als eine geldgierige Person. Sie hat immer eine Bibel in ihrer Handtasche und liest sie auch, wie die religiöse Nachrichtenagentur RNS berichtet. Das reimt sich schlecht damit zusammen, dass sie schon seit Jahrzehnten dafür kämpft, das „Recht“ einer Frau, ihr noch ungeborenes Baby selbst in der Endphase der Schwangerschaft töten zu lassen, als ein weltweites Menschenrecht durchzusetzen.
Erst wenn ein Säugling aus dem Krankenhaus getragen werde, sagte sie einmal, sei er ein Lebewesen. Dass der sexualmedizinische Konzern „Planned Parenthood“ – sein deutscher Ableger heißt „Pro Familia“ – auf Vorbestellung Körperteile abgetriebener Föten verkauft, bezeichnete sie als eine „gute Sache“. Laut RNS ist Clinton seit ihrer Jugend „eine ‚Social-Gospel’-Methodistin bis ins Mark“. Damit gehört sie zum linken, sozialethischen Flügel ihrer Kirche, der im späten 19. Jahrhundert wurzelt. Er lehrt, dass die Wiederkunft Christi erst dann möglich sei, wenn die Menschheit aus eigener Kraft die sozialen Übel dieser Welt überwunden habe.
Da ist zum anderen der zehn Milliarden Dollar reiche Republikaner Donald Trump. Sein Negativwert liegt in Umfragen sogar bei 65 Prozent. Er sagt, er sei Presbyterianer, hält aber nach eigenen Aussagen den alttestamentlichen Spruch „Auge um Auge, Zahn und Zahn“ (2. Mose 21,23) für das beste Bibelwort und kann sich nicht erinnern, Gott je um Vergebung gebeten zu haben.

Im Fernsehen gab sich Trump als ein Jünger des reformierten Pastors Norman Vincent Peale (1898-1993) aus, der mit seiner „praktisch anwendbaren Theologie für den Menschen“ Weltruhm erlangte. Peales Lebenshilfe-Buch „Die Kraft des positiven Denkens“ erreichte eine Auflage von 20 Millionen Exemplaren. Evangelikale und katholische Theologen lehnten seinen Ansatz stets als rein innerweltlich, esoterisch und okkult ab.

Peale war der erfolgreichste Pfarrer der 1628 gegründeten „Marble Collegiate Church“, der ältesten christlichen Gemeinde im heutigen New York. Ihr erster Vorsitzender war Peter Minuit (ca. 1585-1638), der aus Wesel stammende Gouverneur der damaligen Provinz Neu-Holland. Er hatte 1626 den Indianern die Insel Manhattan für 60 Gulden abgekauft. Unter Peale entwickelte sich diese Gemeinde zum Zentrum einer extremen Variante der spätcalvinistischen Theologie, die der Soziologe Max Weber (1864-1920) für die Mutter des US-Kapitalismus hielt. Nach dieser Lehre haben nur die Erwählten wirtschaftlichen Erfolg, und dies signalisiert dann Heilsgewissheit.

Der englische Dichter John Milton (1608-74) verwarf diese Prädestinationslehre von einem Allmächtigen, der vor allen Zeiten festgelegt hat, wer in den Himmel kommt und wer nicht, mit den Worten: „Mag ich zur Hölle fahren, aber solch ein Gott wird nie meine Achtung erzwingen.“ Ähnlich urteilte der deutsche Psychoanalytiker Günter Scheich 2013 über Peale: Er verknüpfe Gottesglauben „auf geradezu unerträgliche, blasphemische Art mit beruflichem und wirtschaftlichem Erfolg.“ Dazu passt, was Trump antwortet, wenn er nach seinem Glauben gefragt wird: „Mein Verhältnis mit Gott ist prima. Seht, was er mir beschert hat: mein Gehirn, meine guten Zensuren an der Uni, meine Erfolge, mein Vermögen.“

Hier liegt eine Teilantwort auf die Frage, wieso Amerika, das sich seit Jahrhunderten für das Licht der Welt hielt, für die „Stadt auf dem Hügel“, wie der puritanische Prediger John Winthrop aus Boston es schon 1630 nannte, durchaus fähig sein könnte, einen solchen Mann ins Weiße Haus zu schicken und den Geheimcode für seine Atombomben anzuvertrauen: Zwar wirkt er extrem, aber er passt in die amerikanische Religionsgeschichte, nicht anders als seine linksmethodistische Widersacherin Hillary Clinton auch. Damit ist freilich längst nicht alles gesagt. Die meisten Durchschnittsamerikaner – auch Evangelikale, die in den Vorwahlen für Trump gestimmt hatten – besitzen keinen Kompass mehr, nach dem sie Kandidaten vor dem Hintergrund des Zustandes der Welt beurteilen könnten. Ihr geistlicher wie weltlicher Bildungsstand ist seit den Sechzigerjahren tragisch zurückgegangen.

Eine Umfrage nach der anderen ergibt, wie viele von ihnen weder ihre Glaubensinhalte noch die Vorgänge in der Welt kennen. Es fehlt an Nachrichtensendungen von der Qualität des „heute-journals“ (ZDF) oder der „Tagesthemen“ (ARD). Wer sich ein Gesamtbild davon machen will, was in der Fremde los ist, muss nacheinander die englischsprachigen Programme arabischer, britischer, französischer, deutscher und japanischer Sender einstellen. Das US-Fernsehen hat praktisch keine Auslandskorrespondenten mehr. In welchen Klos sich Transsexuelle erleichtern dürfen, ist diesem verluderten Medium ein wichtigeres Thema als die Flüchtlingskrise oder die Zukunft der Europäischen Union.

Anstelle von Nachrichten hört der Medienkonsument rund um die Uhr rechte oder linke Hetze: gegen den Welthandel, gegen den Nachbarn Mexiko, gegen die inkompetenten Europäer. Rund um die Uhr ist er geifernden Kommentatoren ausgesetzt, namentlich bei Talkshows im Autoradio. Abends am Fernsehen fällt es ihm schwer, zwischen Unterhaltung und Realität zu unterscheiden. Genau dies erklärt den Erfolg Donald Trumps: Der Immobilienmogul ist ja zugleich ein Unterhaltungsgenie. Er hatte jahrelang eine erfolgreiche „Reality-Show“ betrieben und weiß sich zu verkaufen. Er weiß, nach der Art der US-Medien zu hetzen: gegen den Welthandel, gegen Mexikaner, Chinesen, Japaner und Europäer und das vermeintliche „Establishment“ in Washington. Der diffuse Hass, den Rundfunk- und Fernsehsender seit Jahren schüren, ist Trumps Verbündeter.

Das kommt an. Blass wirkten hoch kompetente Republikaner wie der Ex-Gouverneur von Florida, Jeb Bush, der Gouverneur von Ohio, John Kasich, und der geistreiche Senator Lindsay Graham – alles gläubige Christen – gegenüber Donald Trump. Deswegen sagte denn auch mein streng lutherischer Gemeindepfarrer zu Himmelfahrt: „Es gibt 330 Millionen Amerikaner. Jetzt haben wir die Wahl zwischen einem narzisstischen Komödianten und einer notorischen Lügnerin. Gibt’s denn da keine bessere Alternative? Er gab sich selbst eine nachgerade apokalyptische Antwort: „Ja, Jesus Christus, der zur Rechten des Vaters sitzt.“

Ob nun Donald oder Hillary ins Weiße Haus einziehen werden, kann ehrlicherweise niemand voraussagen. (Nach Uwe Siemon-Netto, idea.de)

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